Digitalisierung im Kombinierten Verkehr? Von einzelnen Akteuren abgesehen, sind in Deutschland Eisenbahnverkehrsunternehmen, Operateure, Speditionen oder Terminalbetreiber kaum als Vorreiter aufgefallen. Jetzt jedoch überrascht der Markt mit einem unternehmensübergreifenden Projekt nach dem anderen. Mit Modility gibt es ein Portal für die Buchung und Vermittlung von intermodalen Verkehren; mit KV 4.0. existiert ein IT-Konzept für die durchgehende Digitalisierung aller logistischen Abläufe bis zur Zustellung an den Empfänger, das nun in die Vermarktung geht. Und das Projekt „Autonome Innovation im Terminalablauf“ (ANITA) stellt in den Ulmer KV-Anlagen der Deutschen Bahn die Weichen für einen digitalen Containerumschlag mit automatisierten Lkw.

 

Großer Hebel für höhere Produktivität

 

Für Andreas Schulz, Geschäftsführer der Deutschen Umschlaggesellschaft Schiene-Straße (DUSS), sind digitale Geschäftsprozesse neben dem Aus- und Neubau der „größte Hebel“ für eine höhere Produktivität in den Terminals. Je kürzer die Durchlaufzeiten der Lkw und die Rüstzeiten für Züge seien, desto mehr Umschlag könnten die Anlagen bewältigen. 

Mit den bisherigen Ergebnissen von ANITA kann die DB-Tochter erste Detaillösungen realisieren. So ermittelten Logistikwissenschaftler der Hochschule Fresenius, dass sich die Anmeldeprozesse der Fahrer auf dem Ulmer DUSS-Terminal über viele Minuten hinziehen. Mit Automatisierungs- und Digitalisierungslösungen könne dieser Prozess auf wenige Sekunden verkürzt werden.

 

Start-up Conroo als Partner

 

Genau dies stellt eine App des Nürnberger Startup Conroo sicher. Die DUSS will sie bis Frühjahr 2023 in allen ihren Terminals einführen. Die Fahrer melden sich auf ihren Smartphones in den Anlagen an und buchen Zeitfenster. In acht Sprachen können sie außerdem Fracht- und andere Daten übermitteln.

Das Conroo-Produkt kann in jedes Terminal Operating System (TOS) integriert werden und macht die Anmeldung zum völlig papierlosen Prozess. Gegenwärtig wird die App in rund einem halben Dutzend größerer Terminals eingesetzt – darunter Frankfurt/Main, Kornwestheim; München und Ulm. Bis Ende 2022 soll sie in wenigstens 20 Anlagen zum Alltag gehören.

 

Unternehmensübergreifende App

 

Solche Slot Management-Lösungen sind nichts Neues. Der Operateur Metrans setzt bereits seit mehreren Jahren Smartphone-Applikationen für Fahrer ein, die in ihren aktuellen Versionen allerdings nur Anmeldungen in den Terminals des Mutterunternehmens HHLA erlaubt. Die Conroo-App arbeitet hingegen unternehmensübergreifend. Heute wird sie bereits im trimodalen Tricon- Terminal von Bayernhafen in Nürnberg eingesetzt, an dem die DUSS einen Minderheitsanteil von 25 Prozent hält. „Wir führen mit weiteren Betreibern Gespräche im fortgeschrittenen Stadium“, verrät Felix Paul Czerny, Geschäftsführer von Conroo. Auch in Österreich, der Schweiz und weiteren europäischen Ländern stößt die App laut Czerny auf Interesse.

 

Potenzial für Branchenlösung

 

Die IT-Lösung der Nürnberger hat auch deshalb das Potenzial für eine Branchenlösung, weil sie über mehrere Zugänge verfügt. Der Anwender kann auch über sein TMS oder ein Web-Frontend Daten eingeben und buchen. Mit solchen Zugängen arbeiten bereits mehrere Kombispeditionen.

Für Czerny soll die gesamte Logistikbranche von der Entscheidung der Bahn für eine neutrale Plattform profitieren. „Die App hat das Zeug, fester Bestandteil jedes Transportmanagementsystems für multimodale Verkehre zu werden“, sagt der Gründer, der mit seinem Team weitere terminalspezifische Anwendungen entwickelt hat. Passend zur App gibt es eine Slotmanagement-Plattform, die auf Basis von ETA- und anderen Lkw-Daten Be- und Entladezeiten abstimmt und den Containerumschlag organisiert.

Auch Operateure kommen auf die Nürnberger zu und geben IT-Tools in Auftrag, die Prozesse in ausgewählten Terminals erleichtern. Für den Terminalbetreiber DUSS haben die Conroo-Lösungen den Vorteil, dass sie jeden Teilnehmer anbinden. Auch kleine Partner, die keine direkte Schnittstelle haben, profitieren.

Ansonsten ist die IT der Nürnberger ein entscheidender Baustein für die durchgehende Digitalisierung von Terminalabläufen. „Mit der App können wir unsere Infrastruktur gleichmäßiger auslasten und effizienter nutzen“, ist Schulz sicher. Weil die Ladungsträger nach Ankunft der Lkw schneller umgeschlagen werden, können auch Züge schneller zusammengestellt werden.

 

Videotore als nächster Schritt

 

Allerdings muss die DB-Tochter hierfür noch einige Hausaufgaben erledigen. Gegenwärtig rüstet sie ihre Standorte mit Videotoren aus, die Lkw und Ladeeinheiten automatisch erkennen und mit KI-Tools Schäden an Fahrzeug und Ladung identifizieren. Auch die Schienenein- und -ausgänge aller Terminals werden in Zukunft mit Videotoren arbeiten. Aktuell läuft eine Ausschreibung für mehr als 50 Tore an allen Standorten. Frankfurt, Hamburg, Leipzig und Stuttgart arbeiten bereits mit dieser Technologie, das Rollout für die übrigen Anlagen soll noch Ende dieses Jahres starten.

Weitere DUSS-Projekte beschäftigen sich mit einem digitalen Zugabgleich mit direkten Schnittstellen in die unterschiedlichen Terminal Operating Systeme (TOS) oder der Fernsteuerung und Teilautomatisierung für Portalkräne. Außerdem wagt sich die DB-Tochter an Predictive-Maintenance-Lösungen, die mit digitaler Überwachung eine frühzeitige Instandhaltung einzelner Krankomponenten anstoßen. „Wir haben sehr viele Ideen und versuchen, möglichst viele Partnerinnen und Partner von den Vorteilen der Digitalisierung und des offenen Datenaustauschs zu überzeugen“, versichert Schulz.

Das setzt ausreichend Daten der Terminalbetreiber selbst voraus. Mit diesem Thema beschäftigt sich ein weiteres Projekt. Am 1. Juli startet ein Forschungsvorhaben von Hamburger Fraunhofer- und Hochschulwissenschaftlern, wie Terminals mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) bessere Slotvergaben und Stellplatzdispositionen sicherstellen können. Conroo nimmt an diesem Vorhaben teil. 

 

Quelle:

https://www.dvz.de/rubriken/land/kombinierter-verkehr/detail/news/duss-treibt-digitalisierung-voran.html